Von Knickebein, Flintenweibern und alten Zeiten
Es war spät am Abend, als ich bei Rose eintraf, ihr Gesicht war fast zart von Güte gekennzeichnet, die in dem Moment niemals auf ihr unbändiges Vorleben schließen lassen konnte.
Ihre wilden Jahre schienen vorbei und doch wirkte sie als stünde sie jetzt endlich in der Blüte ihres Daseins. Angekommen, sesshaft voller Reichtum an Erlebtem, Weisheit und gewonnener Erfahrung, auf ihrer eigenen Ranch.
Rose Burns, war meine und die einzig hinterbliebene Grossmutter, dafür aber die Wahre.
Geboren 1846, als einzige Tochter neben 2 Söhnen, zogen ihre Eltern sie auf einer Rinderfarm groß.
Ihr Vater besaß neben der Farm zudem eine Schmiede.
Alle Kinder besuchten die Schule bis zur 8. Klasse. Ihre beiden Brüder verloren jedoch 1864 im Krieg der Nordstaaten gegen die Südstaaten ihr Leben. Auch die Farm Ihrer Eltern ging in Flammen auf.
Das hielt young wilde Rose nun nicht mehr ab in den Osten, Richtung Texas zu ziehen.
Sie schlug sich als junge Lady durch, in den aufboomenden Tanzlokalen mit Klavier und Freudenanschluss. Ihre abenteuerliche Karriere begann hier mit Kartenspielen und Singen, in bezaubernden damenhaften Kleidern, unter denen sie im Strumpfband stets eine kleine Pistole trug. Während sie tagsüber im Vollblut ihrer Charmance, in Männerkleidung, als bekannte Pferdeflüsterin durch die Gemeinden zog. Immer mit einem offenen sechsschüssigen Colt im Halfter, den sie um ihre Taille trug.
Aufgewachsen auf der Farm unter Männern hatte sie, neben dem was ihr die Mutter damenhaftes beibrachte, auch viel raubeiniges gelernt, nicht nur was den Umgang mit Pferden oder allgemein mit Vieh anging, nein auch die gelegentlichen Schießübungen mit ihren Brüdern nach der Schule, brachten sie auf den Weg, der für sie selbstbestimmend sein würde.
Im Laufe der Jahre machte sie sich einen Namen, als eine die es verstand Pferde auszusuchen, ihre Stärken, Schwächen und Probleme zu erkennen. Offenkundig eine Expertin bei der Bewertung und Vermittlung der Tiere unter den Farmen.
Doch das meiste Geld verdiente sie sich immer noch abends bei Ihren Auftritten in den Saloons und Tanzlokalen.
Ihre Vergehen neben all dem rechtschaffenen Leben,… beschränkten sich „lediglich“ auf gelegentliche Verstöße aus Leidenschaft und Hilfestellungen gegen große Ungerechtigkeit, die im wilden Westen an der Tagesordnung standen.
Es gab nur wenige Frauen ihres Schlages die Fuß fassten und sich durchschlugen, jenseits des Mississippi in den aus dem Boden schießenden Rinderstädten und Minensiedlungen.
Nach langen rauen Jahren, war sie eine der wenigen findigen Rancherin die es verstand ihr isoliert liegendes Heim durch zu bringen und sich dabei einen Namen machte,- für mich die einzig wahre „wild Rose“.
Nun zur eigentlichen Geschichte, die mir am heutigen Abend in den Momenten mit Rose gegenwärtig bleiben sollte.
Es war ein später Frühjahrsabend zur Zeit des Hasens und Rose stellte mir mit einem Lächeln dieses halbvolle Glas gelbgrünlich schlierigem Gebräus, mit einem schelmischen Lächeln hin. „Lass uns trinken, auf die jungen wilden Jahre“ flüsterte sie, wohlerinnernd an meinen vermeintlich ersten Unfall mit diesem Gesöff.
Ich war, so mag es sein, frische 12 Jahre, als ich zufällig in neugieriger Erkundungstour durch Rose Küche auf dieses selbstbereitete Gebräu stieß und vor lauter Leichtsinn einen großen Schluck zu nippen vernahm. Das schockverzerrte Gesicht meiner kindlichen Leichtigkeit schien nun mehr alles Wissen über jegliches Grauen aus Menschenhand, zum Ausdruck gebracht zu haben, was sowohl Rose in großem Gelächter und ich sogleich im großem Spei über den Küchenboden zum Ausdruck brachte.
„Mein Kind, eine neugierige Nase, findet nicht in jedem Tiegel etwas Bekömmliches“
Ich werde nie vergessen, mit welchem Tiefsinn trotz anhaltendender Schelmenhaftigkeit sie diesen Satz ausstieß.
Und sie hatte Recht, selten so viel gelernt wie in jener Sekunde und ebenso ungläubig wie man so rar zu bekommene Schokolade mit Resten der Federviehverwertung und Feuerwasser zusammenbringen konnte.
Ein geheim übertragenes Rezept, deutscher Aussiedler, was einst in die Hände ihrer Mutter fiel und ihr in den wilden Jahren gute Dienste erwies.
„Das konditioniert nicht nur den Magen, sondern vielmehr die Beine, mein Kind“ lachte Rose damals.
So saßen wir nun, auf der staubigen Veranda mit den halbvollen Gläsern Gebräu, beide dieser ersten Erkundung meinerseits gewahr. Ein Lächeln zog über ihr sanftes Gesicht und ließ die kleine Narbe links über ihren Augenbrauen unter ihren grauen Pony verschwinden.
„Das waren die Jahre, mein Kind und ich erinnere mich noch wie heute, wie ich Keeth O´Raily mit dem Gesöff in die Knie zwang zurecht“.
Damals war die Mischung, die sie mir nun kredenzte, noch nicht so verfeinert. Zur damaligen Zeit waren die Interessen sich durchzuschlagen auch anders gelagert. Lange hitzige Tage, in denen Pferde gejagt, zusammengetrieben und ihrer Auswahl nach getrennt wurden, wechselten übergangslos mit langen Nächten, in denen sie in den Saloons mit ausgeklügelten Kartenspielen und lautem Gesang für Furore sorgte. Was oft kräftezerrend war und in Ermüdung der eigenen Konstitution auch hin- und wieder die Durchsetzung der ungeschriebenen Richtbarkeit, der ihrigen Hand überließ.
An jenem Abend, so erzählte sie, traf sie auf Keeth O´Raily. Er war ein mieser halbschwerer Gauner. Sein Ruf, den er sich mit seinen zwei Kompagnons teilte, eilte ihm voraus, als sie in der Stadt eintrafen. Nachdem sie sich, von ihrem Tagesritt etwas erholt hatte, lieh sie sich von ihrer gutbürgerlichen Freundin Voxy, alias Viktoria Brown, wie sonst auch, ein feines samtblaues Kleid aus und machte sich fertig für den Abend. Da sie an jenem Abend zu spät dran war, vergaß sie ihr Strumpfband mit dem kleinen Revolver unter ihrem Kleid auszustatten.
Die Stimmung war grandios, alle vier Spielertische im Saloon waren voll. Die leichten Mädchen bedienten die übrigen Herren, die sich allein dem Vergnügen und nicht dem Spiel widmen wollten. Rose hatte inzwischen zwei ihrer Lieder gesungen, als ihre Klavierbegleitung abrupt stoppte.
Keeth war es, der erzürnt aufsprang, seinen Stuhl umstießt und die Tochter von James Perth, welche hinter jenem stand und ihn just in den Nacken flüsterte,- beschwor eine „schlampige Spionin“ zu sein. Weiter raunte er „nicht genug das so ein Bankersmann wie du nicht spielen kann. Deine Tochter wäre, wie man hört, besser im Freudenbett aufhoben, als dass sie hier dilettantisch die Karten der anderen Spieler ausspäht“. Ein Raunen durchschnitt die Luft des ohnehin stickigen Saloons. Keiner wagte etwas zu sagen, so wussten die Spieler des frühen Abends bereits, das Keeth einfach ein schlechter Verlierer war, der keine Gewalt über die Ausgabe eines guten Blattes hatte. Doch darüber nun die Sittsamkeit gegenüber dem „schwächeren“ Geschlecht zu verlieren, machte es nicht besser.
Miles, der Saloon Keeper, duldete nicht, dass solche Kleingauner, angesehene Bürger der Stadt lauthals anpöbelten. Er machte sich mit einem Knüppel bestärkt, längsseits der Treppe auf, um den Dreien den Weg aus dem Saloon zu weisen, gleichwohl ahnend, dass solch ein Verstoß gegen die Ritterlichkeit, eine umfassende Schlägerei in seinem Saloon zufolge haben würde, mit Recht.
Doch Rose kam ihm zuvor. „Wenn er doch Manns genug für solch kräftige Worte ist, so lass ihn beweisen, wieviel Eier er möglicherweise in seiner Hose hat und gar eine kräftige Entschuldigung für seinen Ausstoß findet“, rief sie Keeth vom Tresen aus mit herausfordernden Blick zu und stellte ihm ein Glas ihres Gebräus hin.
Genau das war es, was Miles nicht wollte, ahnend auf das was nun folgte.
Keeth hingegen, setzte sich hämisch gen Tresen in Bewegung, “Eine Entschuldigung willst du Weib, ich hoffe dein Mund kann besser mit Eiern umgehen als mit Worten“, sprach er in jenem Moment als er zum Glas griff, es anhob und das Gebräu hinunterschluckte. Im gleichen Moment verzerrt er seine Mundwinkel, knickten seine Beine weg und es ertönte ein Schuss von hinter dem Tresen, aus der Flinte des Barkeepers, die sich rein zufälliger Weise in Ermangelung ihres eigenen Revolvers, in den Händen von Rose befand.
Ein Schuss, der das Holz des Tresens durchschlug und seinen Aufprall im Gemächt des vorlauten Gauners wiederfand. Ein Aufschrei und er ging zu Boden. Es folgte ein Handgemänge, Minuten, die aber wie Sekunden wirkten, während Rose mit der an sich gebrachten Flinte die zwei übrigen aus dem Saloon jagte, machten sich die Rechtschaffenen Herren des aufgeheizten Abends ans Werk den verletzten Gauner zu lynchen. Ja, früher haben wir Königen gehorcht und uns den Sherifs gebeugt, doch nun knien wir selbst vor der Wahrheit und beugen uns den ungeschriebenen Gesetzen der Gerechtigkeit.
Hier gab es keine Körperverletzung und keinen Totschlag, hier gab es einzig die eigene Hand im Umgang des Miteinanders, der Ehrbarkeit.
Die Anwohner der Stadt sprachen nie wieder über jenen Abend, denn was gab es schon zu erzählen was nicht rechtens war. Von den zwei Kompagnons setzten keiner mehr einen Fuß zurück und Rose… Rose erzählte mir diese ihre Geschichte, als erste erlebte, von denen noch einige folgten.
Aber davon mehr beim nächsten mal…
Und ich, ich entdeckte dass in der urspr. grausigen Geschmackserfahrung auch eine lehrreiche steckte, dass die Menschen einander eben nicht egal waren, was somit auch was Gutes war.